Wenn wir nichts mehr tun können und die Welt still steht

15 November 2020 | 2 Kommentare

Ich schaute auf den Monitor und sah den suchend sorgenvollen Blick der Ärztin. Als sie mich anschaute wusste ich was kommen würde. Mein Herz wurde schwer und ich hörte ihre Stimme nur aus weiter Ferne. Es war ein warmer heller Sommertag aber in mir wurde es dunkel.

Wir hatten uns sehr darüber gefreut, dass wir unser zweites Kind bekommen würden. Endlich war ich wieder schwanger. Mein Mann und ich sprachen schon von unserem Leben zu viert, freuen uns auf das neue Wunder in unserem Leben. Aber es kam anders.

Der kleine Punkt auf dem Monitor war nicht mehr zu sehen. Es würde keinen runden Bauch geben, den unsere Tochter voller Vorfreude auf das Geschwisterchen streicheln konnte. Kein Baby, das ich in ein paar Monaten dankbar im Arm halten würde.

Stattdessen sagte die Ärztin mit belegter Stimme, dass das neue Leben in mir nicht mehr da wäre. Und wir jetzt einen Termin für eine Ausschabung machen müssten, am besten so schnell wie möglich.

Es war einer der Momente im Leben, in dem wir einfach weiter funktionieren und langsam begreifen, dass wir nichts mehr tun können, um die Situation zu ändern. Dass das Unvorstellbare geschieht und wir keine Wahl mehr haben, es nur noch annehmen können.

Ein Teil in mir zog sich zurück in eine innere Höhle und rollte sich zusammen wie ein Kind, das Schutz sucht. Von der hellen bunten Welt da draußen wollte ich nichts mehr sehen und hören aber auch den dumpfen Schmerz und die Ohnmacht nicht mehr spüren.

 

Was uns hilft zu funktionieren

Überwältigung und Ohnmacht sind Gefühle, die uns erstarren lassen und uns hilflos machen. der Körper geht wie von selbst in einen Freeze Zustand und wir funktionieren einfach nur noch.

Für solche Momente ist das eine Schutzfunktion damit wir trotz dem Schock weitermachen können und das tun, was getan werden muss.

Wir sind dann weit weg von uns selbst und dem Schmerz, der erst mal zu groß für uns ist. Das Nervensystem im Körper braucht Zeit, um einen Schock zu verarbeiten und ihn Stück für Stück zu begreifen.

Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg durch diese Situationen der Ausweglosigkeit, sein eigenes Tempo durch die verschiedenen Gefühlszustände, die wir dabei durchlaufen.

In diesen Zeiten müssen wir vor allen Dingen geduldig mit uns sein und uns darauf einstellen, dass die Gefühle oft dann kommen, wenn wir nicht damit rechnen.

 

Die Angst vor der Realität

Ein Teil in mir wünschte sich sehr, dass die Ärztin sagen würde es wäre alles in Ordnung. Sie hätte sich für einen Moment getäuscht und jetzt könnte man das kleine Herzchen schlagen sehen.

Stattdessen musste ich ins Krankenhaus zur Ausschabung, wurde in den OP geschoben und hörte nur noch wie aus weiter Ferne ein paar Stimmen um mich herum.

Als ich später wieder wach wurde lag ich in einem Krankenhausbett, eine geschäftige Krankenschwester schaute zu mir und fragte mich, wann mein Mann mich abholen würde, weil die Putzfrauen das Zimmer bald reinigen müssten. Für sie war es Routine für mich ein schmerzlicher Abschied.

Ich hatte Angst darüber zu sprechen, den Menschen, die es wussten und die sich mit uns gefreut hatten zu sagen, dass wir kein Kind bekommen würden. Dann würde es noch realer werden und das Mitgefühl und die tröstlichen Worte wollte ich nicht an mich heranlassen.

 

Die Angst vor der Endgültigkeit

Auf Situationen in denen wir nichts mehr tun können sind wir in einer Welt der Machbarkeit nicht vorbereitet. Wir können nur erstarren und uns totstellen, weil die Angst vor dem Schmerz und der Endgültigkeit zu groß für uns ist.

Jeder von uns erlebt diese Situationen irgendwann früher oder später in seinem Leben, sie gehören dazu und wir können ihnen nicht entfliehen.

Wir können uns nicht darauf vorbereiten und müssen, wenn sie da sind, einfach ins kalte Wasser springen, darauf hoffen, dass die Wellen des Lebens uns ein Stück weitertragen, damit wir irgendwann wieder ans Ufer des Alltags kommen.

 

Das erste Mal der Ohnmacht begegnen

Das erste Mal habe ich diese Ohnmacht erlebt, als ich 11 Jahre alt war und mein Vater uns verließ. Auch damals zog sich ein Teil in mir von der Welt zurück wie ein ängstlicher kleiner Igel, der seine Stacheln vor der drohenden Gefahr ausfährt, sich einrollt und hofft, dass es so vorübergeht.

In der Schule war ich nur noch abwesend und lebte in einer Welt der Fantasie, die mich vor dem Schmerz der Realität schützte. Ich verkroch mich in Büchern und fand Trost in Welten auf Papier, in denen alles noch in Ordnung war.

 

Endgültiger Abschied

Die Endgültigkeit des Lebens traf mich mit voller Wucht, als meine Mutter kurz nach ihrem 60. Geburtstag völlig unerwartet starb. Ich saß am Frühstückstisch, das Telefon klingelte und ich bekam die Nachricht, dass sie in der Nacht gestorben war.

Wie in Trance stieg ich in den Zug von Ravensburg nach Frankfurt, starrte aus dem Fenster in die vorüberziehende Landschaft und versuchte zu begreifen, dass sie nicht mehr da war, mir keine Geschichten mehr aus meiner Kindheit erzählen und mich in den Arm nehmen würde.

 

Die Hoffnung loslassen

Die Ohnmacht und der Schmerz stellten sich mir in den Weg als ich meinen Vater ins Hospiz begleitete. Die Sanitäter trugen ihn die alte geschwungene Holztreppe auf die Straße hinunter und ich konnte die Angst in seinen Augen sehen.

Beide wussten wir, dass er die Tür seiner kleinen Wohnung das letzte Mal hinter sich schloss und es kein Zurück mehr gab. Zwei Wochen hatte ich ihn begleitet, sein Körper wurde immer schwächer und wir konnten nichts mehr für ihn tun. Die Hoffnung war immer wieder kurz aufgeflackert, aber jetzt mussten wir sie loslassen und dem ins Auge sehen, was vor ihm lag.

Tagelang war ich mit dem Auto durch Hamburg zu seiner Wohnung gefahren, saß hinter dem Steuer mit Tränen in den Augen und hätte die Welt am liebsten angehalten. Aber das Leben ging weiter und ich bekam Tag für Tag die Kraft, die ich auf diesem Weg brauchte.

 

Über das Endgültige hinauswachsen

In diesen Momenten müssen wir uns der Endgültigkeit stellen, den Schmerz kommen und uns innerlich fallen lassen in die schützende Dunkelheit, in der wir uns vor unseren überwältigenden Gefühlen schützen können.

In solchen Situationen gibt es keine schnelle Lösung und keinen einfachen Trost. Die Welt steht still in uns und der Verstand sucht wie ein wildes Tier im Käfig wütend und verzweifelt nach einem Ausweg.

Aber für die Endgültigkeiten des Lebens kann uns der Verstand keiner Auswege zeigen. Wir müssen Eintauchen in uns selbst, in unsere Schmerzen und Ängste bis auf den Grund der Seele. Dort kommen wir zur Ruhe und finden langsam Trost und Hoffnung.

Wir können die Stimme des Herzens hören, die über das Endgültige hinaus den Blick weit werden lässt, weil es uns mit der Liebe und der Hoffnung auf etwas Größeres verbindet, das der Verstand nicht erfassen kann.

 

Sich mit der Weisheit von Herz und Seele verbinden

Stück für Stück werden gerade diese schweren Erfahrungen zu wichtigen Lektionen in unserem Leben, die uns über uns selbst hinauswachsen lassen, uns mitfühlend mit anderen Menschen machen und uns mit der Weisheit des Herzen und der Seele verbinden.

Wir lernen, uns der Vergänglichkeit zu stellen und das was wir haben als Geschenk zu sehen, das nicht für immer bleibt. Wir lernen immer wieder loszulassen, auch wenn es weh tut und uns dem Leben wieder zu öffnen.

Und immer wieder dürfen wir den verletzten, ängstlichen und ohnmächtigen Teil in uns in den Arm nehmen und uns selbst Halt und Schutz geben. Um so den Weg einer wunderbaren Freundschaft mit uns selbst zu gehen und eine Heimat in uns selbst zu finden.

 

Meditation „Loslassen und Neues empfangen“

Lass dich gerne in dieser geführten Meditation an die Hand nehmen und lasse los, was gehen darf, damit das Neue kommen kann.

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Ich wünsche dir, dass du in schwierigen Zeiten an deiner Seite bleibst und der Weisheit deines Herzens und deiner Seele vertraust. Herzliche Grüße

 

Alexandra

 

Portrait Alexandra Cordes-Guth

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2 Kommentare

  1. Was für ein wundervoller Beitrag liebe Alexandra. Sicher hat jeder von uns solche Situationen schon einmal erlebt, allerdings ist der Reflex wahrscheinlich, zunächst einmal Halt im Außen zu suchen: Bei Freunden, bei Vertrauten oder Menschen wie Dich, die professionelle Unterstützung anbieten. Für mich hat es etwas sehr tröstliches, dass ich auch Hilfe in mir selbst finden kann, aber auch das will gelernt sein. Unsere Seele ist ein weiser Coach. 💜

  2. Liebe Heike, in solchen Situationen brauchen wir beides. Halt im Außen, eine Umarmung, Zuspruch, Mitgefühl und Verständnis. Aber auch in uns selbst. Und wie du so schön schreibst: Unsere Seele ist ein weiser Coach. Sie braucht nur Raum, in dem sie sich melden und mitteilen und ihre Kraft entfalten kann.

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