Ich war vier Jahre alt und klammerte mich an den Mann neben dem ich saß. „Ich bleibe bei meinem Opa“ schrie ich. Wollte ihn nicht loslassen, bei ihm bleiben, mich zu ihm legen.
Denn er war nach seinem Herzinfarkt im Krankenhaus und für mich war er mein über alles geliebter Opa.
Drei Erwachsene schauten mit an und sprachen auf mich ein. Sie zogen mich von ihm fort, sagten mir, dass wir jetzt gehen müssten. Ich weiß nicht mehr, was mein Opa gesagt oder getan hat. Aber kurz darauf starb er.
Das war das erste Mal in meinem Leben, das ich erfuhr, wie schmerzlich es ist, loslassen zu müssen.
In Gedanken war er noch lange bei mir, begleitete mich und ich sprach mit ihm, wenn ich alleine war. Aber seine Umarmungen, seine Stimme, sein Geruch, die Spaziergänge mit ihm– das fehlte mir.
Wir wollen nicht loslassen, damit das Schöne und Vertraute bleibt
Etwas loslassen zu müssen, was wir behalten möchten ist sehr schmerzhaft. Emotional schmerzhaft. Etwas in uns wehrt sich dagegen, will dass das Schöne und Vertraute für immer bleibt.
Als ich älter war zerbrach wieder ein Stück meiner Kinderwelt. Meine Eltern trennten sich endgültig. Und ich konnte die Hoffnung und den Wunsch nicht loslassen, dass mein Vater wieder zurückkommen würde.
Weinte abends oft wenn ich im Bett lag und wünschte mir sehnsüchtig, dass alles wieder gut werden würde. Obwohl es das auch vorher nicht war.
Es ist ein Grundgesetzt im Leben, das sich alles wandelt, nichts so bleibt, wie es gerade ist.
Und wir versuchen durch unsere Gedanken und unser Streben nach Sicherheit dem entgegenzuwirken.
Wollen den Wunsch verwirklichen, dass alles so bleibt wie es ist.
Festhalten kostet Kraft und Leichtigkeit
Wir wollen Dinge nur loslassen, wenn wir sicher sein können, dass es keine Nachteile hat.
Die Beziehung, die schon lange keine mehr ist, die uns aber Sicherheit gibt, uns vor dem Alleinsein schützt.
Den Job, der uns krank macht, der aber vielleicht immer noch besser ist, als der unsichere Weg, der sonst vor uns liegt.
Die alten Möbel im Keller, die dort seit Jahren stehen – und die man vielleicht noch mal brauchen könnte.
Was solltest du schon lange loslassen – und hältst es mit aller Kraft fest? Mit Kraft, die du für die Freude und Leichtigkeit im Leben brauchen könntest.
Denn das ist oft die Folge vom Festhalten: Dass uns die Kraft ausgeht und das Leben sich immer schwerer anfühlt.
Loslassen und den eigenen Gefühlen Raum geben
Mein letztes großes Loslassen war vor gut vier Jahren. Wir wohnten in einer Doppelhaushälfte mit einer Nachbarin, die wie ein Familienmitglied für uns war.
Das erste Mal hatte ich das Gefühl von Ankommen und Heimat. Ein wunderbares Zuhause in dem ich bleiben wollte.
Bis die Eigenbedarfskündigung kam. Ein Brief in meiner Hand, ich las ihn wie ferngesteuert, versuchte die Nachricht nicht an mich heranzulassen.
Aber die Tränen kamen und ich konnte sie nicht aufhalten. Nach drei Jahren wieder loslassen, nicht wissen wohin. Das kannte ich nur zu gut.
Schon 16-mal war ich umgezogen, oft mit viel Kraftaufwand. Und hatte gedacht, dieses Thema wäre beendet. Wieder loslassen und nicht wissen was kommt.
Ich habe viel getrauert in dieser Zeit, viele alte Schmerzen noch einmal gespürt. Die das Kind in mir in sich trägt, weil es sich heimatlos und ungeborgen fühlt.
Das so gerne endlich angekommen wäre und in Sicherheit. Ich konnte seine Trauer zulassen, seine Tränen weinen und es langsam an die Hand nehmen.
Und so mehr und mehr in den Prozess des Loslassens eintauchen.
Wie du den Kontakt zu deinem inneren Kind aufnehmen und vertiefen kannst, um seelische Wunden zu heilen, kannst du in diesem Blogbeitrag lesen.
Heute wohne ich in einem neuen, größeren Haus, das wie durch ein Wunder zu uns kam. Von dem ich weiß, dass es für eine Weile eine Heimat in meinem Leben sein wird.
Und das ich irgendwann wieder loslasse um weiterzugehen. Das Festhalten wollen ist weniger geworden. Auch weil ich ganz sicher weiß, dass es immer weitergeht. Und eben nichts bleibt, wie es war.
Immer mehr begreife ich, dass das Loslassen uns erlöst, uns das Leben leichter macht, wir selbst wandelbarer werden.
Wenn wir nicht festhalten müssen an Bildern und Vorstellungen von uns selbst. Auch unseren Schmerz dürfen wir loslassen, indem wir ihn fühlen und da sein lassen, ihn nicht unterdrücken.
Geben wir ihm keinen Raum, halten wir ihn in uns fest – und er verwandelt sich in Leid.
Die eigenen Bilder und Vorstellungen von sich selbst loslassen – und auf sein Herz hören
Ich wollte irgendwann Coach für Führungskräfte werden. Ich fand das Thema Wertschätzung im Job so wichtig, wollte weitergeben und sichtbar machen, welche Kraft und welche Potentiale Wertschätzung zum Vorschein bringt.
Machte mich mutig auf den Weg. Überwand viele Hürden, bekam Aufträge.
Mir wuchs das Thema immer mehr ans Herz, ich lernte viel dazu, lernte wunderbare Menschen kennen. Und merkte irgendwann: Das macht mich nicht glücklich.
Ich muss viel reisen, in fremden Hotels übernachten, bin abends alleine. Ständig fremde Gruppen in Unternehmen, die mir vorgeben, was ich tun darf.
Es war eine gute und wichtige Erfahrung. Aber ich bin bereit, diesen Teil meines Weges wieder loszulassen.
Weil ich heute eine andere bin. Damit auch ein Bild von mir selbst loszulassen. Um ein Neues auftauchen und Wirklichkeit werden zu lassen. Das ist Veränderung, Entwicklung, Werden und Vergehen.
Ich kann diese Veränderung nur geschehen lasse, wenn ich in mich hineinhöre, die Stimme des Verstandes leiser werden lasse als die des Herzens.
Und von Jahr zu Jahr erlebe ich: Wenn ich auf mein Herz höre, wird das Loslassen leichter.
Weil ich sicher weiß, diese Stimme in mir meint es gut, sie kennt meinen Weg. Wenn sie mich führt kann ich wachsen.
Auch wenn es manchmal schmerzlich ist, sich einsam und traurig anfühlt.
Wie im Sturzflug in die Dunkelheit. In der ich mich wieder ganz neu entdecken werde und das loslasse, was nicht mehr zu mir gehört.
Es geht nicht um Scheitern und Versagen wenn ich alte Träume und Bilder loslasse.
Es geht um Wachstum – mehr in mich selbst hineinwachsen.
Und jeder Schritt auf meinem Weg führt mich ja dorthin, wo ich jetzt bin. Und zu der, die ich jetzt gerade bin und morgen nicht mehr sein werde.
So können wir das Loslassen in sieben Schritten üben und uns vertraut machen
Wir bleiben immer dieselben – aber nie die Gleichen. Wir sind in einem ständigen Wandlungsprozess, erneuern uns, wachsen über uns hinaus.
Deshalb dürfen wir uns selbst jeden Tag wieder loslassen und neu entdecken, müssen nicht festhalten an dem alten vertrauten Bild, das wir von uns haben, dass sich sicher und vertraut anfühlt.
Wir dürfen darauf vertrauen, dass wir auf ein Selbst zugehen, das mit jedem Loslassen immer größer und weiser sein wird.
- Erster Schritt: Erkennen, dass Veränderung und Vergänglichkeit zum Leben dazugehört. Dass es nichts mit Fehlern oder Versagen zu tun hat, wenn Dinge zu Ende gehen
- Zweiter Schritt: Dem Zustimmen, dass nichts bleibt. Es da sein lassen und mehr und mehr anerkennen, als Teil des Lebens, als Teil unsers Seins.
- DritterSchritt: Unseren Schmerz darüber zulassen. Sagen dürfen, dass es weh tun kann und Angst macht. In der Gewissheit, dass auch das vergeht.
- Vierter Schritt: Uns jeden Tag im Kleinen im Loslassen üben. Ein Buch oder ein Kleidungsstück aussortieren, das man schon lange nicht mehr benutzt hat. Einen Gedanken bewusst loslassen, der etwas in uns festhält.
- Fünfter Schritt: Aufschreiben, was wir schon loslassen konnten und was dadurch Neues in unser Leben gekommen ist. Und uns selbst und das Leben feiern.
- Sechster Schritt: Uns in Achtsamkeit üben: Immer wieder in die Gegenwart zurückkehren, wenn unsere Gedanken uns in eine andere Richtung ziehen möchten.
- Siebter Schritt: Immer mehr auf unser Herz hören, weil es voller Mitgefühl und Liebe für uns und alle Lebewesen ist. Und diese Energie uns befreit von der Angst, etwas zu verlieren.
Schreibe mir gerne, welche Erfahrungen die auf dem Weg des Loslassens machst – und wie es sich anfühlt, mehr und mehr in dein größeres Ich hineinzuwachsen.
Herzliche Grüße
Liebe Alexandra,
vielen Dank für den so wertvollen Artikel. Ich bin ganz deiner Ansicht, dass das Festhalten uns viel Schmerz bereitet und ich denke, es geht auch darum, Vertrauen zu entwickeln, dass Veränderungen zu unserem Besten geschehen.
Liebe Grüße
Brigitte
Liebe Brigitte, und es ist und bleibt wohl die größte Herausforderung in unserem Leben den Veränderungen zu vertrauen. Es geht nur in kleinen Schritten und tut gut, wenn wir uns gegenseitig dabei unterstützen und ermutigen.
Liebe Grüße
Alexandra
Ich habe mich für Freude und Leichtigkeit entschiden …. und lasse gerade los … freudig und schmerzvoll.
Liebe Grüße Claudia
Liebe Claudia, oft liegen Freude und Schmerz sehr nahe beieinander und gehen Hand in Hand. Das zu spüren und zu aktzeptieren ist ein großer Teil des Loslassen. Alles Gute für dich.
Herzliche Grüße Alexandra
Ich danke dir für diesen mich bewegenden, guten Artikel! Die Geschichten, die du teilst, berühren mich und machen nochmal deutlich, dass das Leben nicht linear verläuft. Gut so. Und dass Loslassen Wachsen bedeutet leuchtet mir ein, und macht mir Mut. Alles Liebe zu dir, Alexandra!