Warum Tränen so heilsam sind

26 März 2022 | 2 Kommentare

Tränen sind wichtig und heilsam. Und meist bekommen sie viel zu wenig Raum in unserem Leben und in unseren Gefühlen. Dabei sind sie wie ein Geschenk an uns selbst, können uns von alten Schmerzen befreien und uns mit unserer tiefsten Freude und Lebendigkeit verbinden. Auch die Wissenschaft ist überzeugt, dass weinen gut für uns ist. 

Warum Tränen für uns so wichtig sind, warum wir öfter mal wieder weinen sollten, darüber schreibe ich hier in diesem Beitrag. Und ich erzähle dir die Geschichte meiner Tränen, wie sie mich an wichtigen Stationen in meinem Leben begleitet haben.

Und ich habe am Schluss eine Selbstcoaching Übung für dich, mit dem du deinen Tränen wieder ein wenig mehr Raum geben und ihre heilsame Kraft entdecken kannst. 

 

Das Geschenk unserer Tränen 

Ich sitze in unserer Lounge im Garten, die Sonne scheint warm auf meine Beine und um mich herum höre ich das aufgeregte Zwitschern der Vögel, weil unsere Katze Lola über die Wiese schleicht.

Und es geschieht etwas seltsames mit mir. Ich schaue auf die kleine Magnolie, die seit gestern ihre zartrosa Blüten geöffnet hat und spüre, wie aus einer tiefen Schicht in mir Tränen nach oben steigen.

Die Freude, dass dieser Baum jetzt wieder blüht und den Frühling herbeiruft, die Dankbarkeit für diese Schönheit, die die Natur jedes Jahr neu entstehen lässt, das tiefe berührt Sein über die Kraft und die Schönheit um mich herum – all das lässt mir die Tränen in die Augen steigen.

Magnolienblüten

Immer wieder gibt es solche Momente. Und ich spüre dabei das Kind in mir, das mit staunenden Augen in die Welt blickt und sich mit allem verbunden fühlt.

Wie viele Tränen ich in diesem Leben wohl schon geweint habe? Ich möchte keine missen, weil ich weiß, wie wichtig und kostbar unsere Tränen sind.

Ein Chefarzt, mit dem ich als Psychotherapeutin in der Klinik gearbeitet habe, sagte immer wieder zu den Patienten: Tränen sind Therapieperlen. Das wurde zu einem geflügelten Begriff und Tränen wurden so von einer peinlichen Schwäche zu einem kostbaren Geschenk.

Tränen reinigen und heilen, sie drücken unsere tiefsten Gefühle aus und helfen uns, Stress und Anspannung zu regulieren. Aber viele Menschen haben Angst vor ihren Tränen. Sie schämen sich, wenn sie weinen müssen.

Es wäre schön, wenn wir alle wieder mehr das Geschenk unserer Tränen erkennen könnten. Und ihnen wieder öfter einen Platz in unserem Leben geben würden, statt sie zu verdrängen und zu unterdrücken.

 

Die Tränen meiner Kindheit

Wahrscheinlich habe ich schon das erste Mal geweint, als ich den warmen Bauch meiner Mutter verlassen habe. Das tun doch die meisten Neugeborenen. Sie schreien, atmen die kühle Luft ein, saugen sie tief in ihre Lungen und schicken ihre ersten Tränen in ihr Leben.

Vielleicht, weil sie so überwältigt, sind von der Welt, die sie erwartet. Vielleicht auch vor Erleichterung, weil sie ihre Geburt, diesen magischen Übergang, bewältigt und gemeistert haben. Schleimig und blutig nach neun Monaten von ihren Eltern empfangen werden, wenn sie nach neun Monaten den Weg von einer Eizelle zu einem einzigartigen Wunder geschafft haben.

Als Baby habe ich mich wohl oft in den Schlaf geweint. Ein kleines, schreiendes Bündel, alleingelassen mit sich und seiner Angst vor dem Alleinsein oder vor dem dumpfen, quälenden Schmerz im kleinen Bäuchlein. Alleingelassen mit seiner Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit. Irgendwann sind die Tränen darüber versiegt und in weit verzweigten Körperzellen zu Eis erstarrt.

Baby hält einen Finger fest

Ich habe geweint, als ich vier Jahre alt war, nachts aus dem Schlaf geschreckt bin und meine Eltern nicht da waren. In der ganzen Wohnung brannte Licht, es war totenstill. Nur die alte Wanduhr, mit dem verschnörkelten Zifferblatt und den filigranen Zeigern tickte leise.

Auch als sie sich angeschrien und miteinander gestritten haben, sich hasserfüllte Worte an den Kopf warfen, musste ich weinen. Leise und still für mich, weil ich mich hilflos und ohnmächtig fühlte. Und Angst hatte, dass es schlimmer wird.

Viele Male habe ich vor Schreck geweint, wenn ich mir meine kleinen Finger in der Tür eingeklemmt habe, obwohl meine Mutter bestimmt 100-mal gesagt hat, dass ich das endlich lassen soll. Viel Trost gab es deshalb nicht, wenn das wieder passierte.

Ich erinnere mich noch daran, wie oft ich als Kind mein Knie aufgeschlagen habe. Der brennende Schmerz, wenn die Haut vom rauen Asphalt weggerissen wurde und das Blut vom Knie herabtropfte. Dann flossen die Tränen wie eine reinigende Kraft aus mir heraus. Sie liefen die staubbedeckten Wangen herunter und hinterließen eine feuchte Spur in meinem sommersprossigen Gesicht. Und tropften langsam auf die dunkle, sommerwarme Erde.

 

Tränen der Trauer und der Freude

Als ich 11 Jahr alt war, habe ich geweint, weil mein Vater plötzlich aus unserem Leben verschwand. Einfach seine lederne Reisetasche packte, in seinen silbernen Ford Capri stieg und davonfuhr, zu seiner neuen Frau.

Mit 16 weite ich die ersten Tränen der enttäuschten Liebe. Sie hielt nur drei Monate und mein Herz bekam seinen ersten Riss. (Es sollten noch einige folgen. Aber zum Glück wusste ich das damals noch nicht).

Ich musste weinen, als frühmorgens der völlig unerwartete Anruf kam. Meine Mutter war in der Nacht ganz überraschend mit gerade mal 60 Jahren gestorben. Nach einem Leben, das ihr viel Schmerz und Enttäuschung gebracht hatte.

Ich weinte über ihr unerfülltes Leben, in dem sie sich so oft einsam und allein gefühlt hatte. Obwohl ich ihr so oft gewünscht hatte, dass sich ihr tiefer inneren Schmerz endlich in unbeschwerte Freude verwandeln darf. Und sie nach der schwierigen Trennung von meinem Vater noch einmal ihr Glück finden darf. Aber sie blieb allein und versank immer mehr in ihrer eigenen, düsteren Welt.

Aber es gab auch viele Freudentränen in meinem Leben. Denn Tränen bedeuten eben nicht nur Trauer und Schmerz. Sie verbinden uns manchmal mit unaussprechlicher Freude und tiefer, unendlicher Ergriffenheit.

So einen Moment der tiefen Ergriffenheit erlebte ich, als meine Tochter als neugeborenes Baby nachts auf meinem Bauch lag, Ärmchen und Beinchen an den kleinen Körper gepresst, herrlich duftend und leise atmend. Da überrollte mich die Liebe zu ihr wie eine riesige Welle und ich weinte, weil ich für dieses Gefühl keine Worte hatte und weil es so viel größer war als alles, was ich kannte.

Oder letzte Woche, als ich auf einem Intuitions-Spaziergang (das ist eine ziemlich tolle Sache), einen kleinen, geheimnisvollen See entdeckte, der mich mit seinem Zauber gefangen nahm. Die stille Wasseroberfläche, in der sich die Sonne und der Steg spiegelten, die Spuren der Biber, die sie an den abgenagten Baumstämmen hinterlassen hatten. Da stiegen Tränen in mir auf, weil ich mich so tief verbunden fühlte mit der Natur und ihrer Kraft, ihrem immerwährenden Wachstum und ihren vielen Wundern, die jeden Tag neu auf uns warten.

Kleiner See mit Baum am Rand

An einem Geburtstag weinte und schluchzte ich, weil mein Bruder völlig überraschen vor der Tür stand. Ich hatte ihn lange nicht gesehen und meine Freude war wie ein innerer Sturzbach, der sich aus meinen Augen den Weg zu ihm bahnte. Er war verständlicherweise etwas verstört und ich rief immer wieder: Ich freu mich doch nur so!!

Und immer wieder habe ich mit vielen Herzensmenschen Lachtränen geteilt. So herrlich erleichternd, albern, kraftvoll und glücklich machend. Wir haben uns gekrümmt und gebogen vor Lachen, haben kaum noch Luft bekommen, konnten nicht mehr sprechen und die Tränen waren wie das Sahnehäubchen auf unserem wiehernden Gelächter.

Zwei Frauen aneinander gelehnt von hinten

Manchmal muss ich weinen, wenn ich an all das Leid und den Schmerz denke, den so viele Menschen gerade erleben. Und ich tief in meinem Herzen einfach mit ihnen fühle.

Tränen sind Zeichen unserer Lebendigkeit

Ich möchte noch oft und viel weinen. Damit die eingefrorenen Schmerzen in mir befreit werden können und ins Fließen kommen. Langsam aus mir heraussickern und in der Erde versinken.

Aber auch, um die Freude am Leben ganz tief in meinem aufgewühlten und wilden Inneren zu spüren.

Ich möchte um Menschen weinen, die ich verloren habe und der Welt meine Trauer zeigen dürfen.

Tränen sind Zeichen unserer Lebendigkeit. sie sind Ausdruck unserer Fähigkeit, tief zu fühlen und mit anderen mitzufühlen. Mit ihnen können wir eintauchen in den Schmerz, die Angst, die Trauer und in die unbändige Freude in uns.

Ich möchte immer wieder von ihnen benetzt und in sie eingetaucht werden, damit ich das Licht und die Hoffnung und die Magie des Lebens wieder sehen und einfangen kann. 

Sie sind die Edelsteine unseres Herzens, die unsere Gefühle zu etwas heiligem machen und sie in Kraft und Lebendigkeit verwandeln. Gib den Tränen in dir Raum, begegne ihnen achtsam und mit offenem Herzen. Niemand muss sich für seine Tränen schämen. 

 

Die Geschichte deiner Tränen – eine Selbstcoaching Übung

Das autobiografische Schreiben ist eine sehr wirkungsvolle Selbstcoaching Übung. Wenn wir über unser Leben schreiben, und dafür das intuitive Schreiben nutzen, wird schon beim Schreiben alter Schmerz geheilt. Verdrängtes findet einen Platz in unserem Inneren und schafft Raum für Neues. Wir erkennen uns neu und anders, kommen uns beim Schreiben näher. Und sehr oft entstehen beim Schreiben scheinbar magische Impulse und Botschaften, mit denen wir in ein neues Ich hineinwachsen.

Schreibe die Geschichte deiner Tränen auf. Schreibe auf, wann sie dich auf deinem Weg belgeitet haben, wo sie deinen Gefühlen Ausdruck verliehen haben. Du kannst vor dem Schreiben auf ein A4 Blatt deine Lebenslinie zeichnen und mit Linien, Symbolen und Stichpunkten festhalten, an welchen Stationen deines Lebens dich deine Tränen begleitet haben. Und anschließend die Geschichten dazu aufschreiben.

Du kannst aber auch einfach drauflos schreiben. Mit dem Satzanfang: Die Geschichte meiner Tränen… Gib dabei allem Raum, was sich meldet. Lade auch die Freuden- und die Lachtränen ein, die Tränen der Rührung, der Überraschung, der Verbundenheit, der Ergriffenheit.

Begegne beim Schreiben dir selbst in deiner Vergangenheit und öffne dein Herz für dich, den wunderbaren einzigartigen Menschen. Und beginne eine wunderbare Freundschaft mit dir selbst.

„Die tiefste Befriedigung des Schreibens besteht genau darin, dass es neue Räume in unserem Innern eröffnet, von denen wir nicht wussten, bevor wir zu schreiben begannen.“
Henri Nouwen

 

Hand und Oberkörper einer Frau, die in ein Buch schreibt

 

Wenn du die Kraft des intuitiven und kreativen Schreibens als Möglichkeit des wirkungsvollen Selbstcoachings kennenlernen möchtest:
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Herzliche Grüße

Alexandra

 

Alexandra

 

Portrait Alexandra Cordes-Guth

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2 Kommentare

  1. Liebe Alexandra, was kann ich tun damit ich wieder weinen kann? Ich spüre und wünsche mir so oft das ich weinen darf aber es kommt keine Trane. Ich weiß um das Geschenk der Tränen egal ob aus Freude oder aus Schmerz. Aber sie sind versiegt seit einigen Jahren

  2. Liebe Dolores, es gibt viele Menschen, bei denen die Tränen versiegt sind. Oder, wie ich in diesem Text geschrieben habe, sie sind in uns eingefroren. Das geschieht durch schmerzliche und traumatische Erlebnisse, durch die eine Erstarrung in unseren Körper kommt. Unser verletztes inneres Kind ist dann vielleicht in seinem Schmerz erstarrt. Denn in der Regel handelt es sich um alten Schmerz aus unserem Leben. Der erste Schritt, der helfen könnte, den Tränen wieder Raum zu geben: Seine Körperempfindungen wahrnehmen und ihnen Raum geben – ohne sie zu bewerten und zu analysieren. Denn oft, wenn ein Mensch nicht mehr weinen kann, ist er in einer Art Dissoziation (Abspaltung) von sich selbst. Und ist nicht mehr gut mit seinem Körper verbunden. Ohne unseren Körper können wir unsere Gefühle nicht spüren. Indem wir die Empfindungen wahrnehmen, können wir ganz sanft und vorsichtig wieder in Kontakt mit uns kommen.
    Der zweite Schritt: Schreibe einen Dialog mit deinem inneren Kind. Frage es, warum es aufgehört hat zu weinen. Was es braucht, damit es seine Tränen wieder zeigen kann.
    Ich wünsche dir, dass du so wieder Zugang zur heilsamen Kraft deiner Tränen bekommen kannst. Und dein inneres Kind so wieder mehr Freude und Lebendigkeit spüren kann. Liebe Grüße – Alexandra

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