Vor mir steht ein großes, dickbauchiges Bonbonglas mit vielen bunten Zetteln. Es ist randvoll und hat seinen Platz bei uns in der Küche, direkt unter unserem Familienkalender.
In diesem Glas sammeln wir unsere Glücksmomente und im Lauf des Jahres staunen wir darüber, wie es sich von Monat zu Monat füllt.
Am Jahresende wird es geleert. Und mein Mann, meine Tochter und ich breiten die vielen Zettel auf dem großen Esszimmertisch in einer langen Reihe aus und lesen sie uns vor.
Viele schöne Momente tauchen auf und erinnern uns daran, wie reich und erfüllt das Jahr war. Wie viele Begegnungen es gab, wunderschöne gemeinsame Zeiten und Höhepunkte.
Aber auch scheinbar kleine und unbedeutende Momente finden in diesem Glas ihren Platz.
Das erste Frühlingszwitschern der Amsel vor unserer Küchentür.
Die Glühwürmchen, die im Sommer durch unseren Garten schweben.
Die abendliche Fahrradtour durch ein Feld von Sonnenblumen.
Der spontane Besuch einer Freundin auf einen schnellen Kaffee für einen kleinen Herzensplausch.
Warum unser Gehirn die Glücksmomente schnell wieder vergisst
Als ich das erste Mal mit meiner Familie die Glücksmomente des Jahres einsammeln wollte, (da gab es das Glas noch nicht) fiel uns auf, wie wenige in unserem Gedächtnis hängengeblieben waren. Auch unsere Kalender gaben nicht wirklich viel her.
Und so fiel unser damaliger Jahres-Glücks-Rückblick ziemlich mager aus. Bis ich im Jahr darauf auf die Idee mit dem Glücksglas stieß.
Ich fragte mich, warum so wenig von dem täglichen Glück in unserem Gehirn hängenbleibt. Die Erklärung ist ganz einfach:
Unser Gehirn neigt dazu, sich auf die Probleme in unserem Leben zu konzentrieren. Es ist „katastrophisch“ ausgerichtet.
Die Angst vor dem Säbelzahntiger
Die Fähigkeit, so schnell wie möglich die Probleme um sich herum zu erkennen stammt noch aus der Zeit des Neandertalers.
Der jeden Tag sein Überleben sichern musste. Besonders gegen seinen großen Feind: Den Säbelzahntiger. Jedes Knacken und Rascheln konnte bedeuten, dass er zum Sprung bereit im Gebüsch saß.
Auch heute versucht unser Gehirn noch auf diese Weise, unser Überleben zu sichern und konzentriert sich auf die Probleme und Katastrophen.
Obwohl der Säbelzahntiger ja längst ausgestorben ist. Und wir uns mit dem katastrophischen Denken eher selbst blockieren und lähmen, als uns Gutes zu tun.
Das führt dazu, dass die meisten Menschen sich übermäßig viele Sorgen machen und auf Probleme und Gefahren konzentrieren. Das sorgt für sehr viel Stress und energieraubende Ängste.
Das ideale Gegenmittel zu dieser Art des Denkens ist die Dankbarkeit.
Dankbare Menschen sind optimistischer und zufriedener
Dass Dankbarkeit auch ganz persönlich auf jeden Menschen und seine Einstellung zum Leben wirkt, haben die US-Amerikaner Robert Emmons und Michael McCullough schon vor mehr als 20 Jahren in einer grundlegenden Studie gezeigt:
Mitglieder einer Versuchsgruppe sollten einige Wochen abends fünf Dinge notieren, für die sie dankbar waren.
Ein zweiter Kreis schrieb über fünf Ärgernisse des Tages.
Eine Kontrollgruppe notierte fünf wichtige Dinge, die an diesem Tag geschehen waren.
Das Ergebnis: Die Teilnehmer der Dankbarkeitsgruppe zeigten sich optimistischer und zufriedener mit ihrem Leben.
„Seitdem erschienen zahlreiche Studien ähnlichen Zuschnitts, die substanzielle Zusammenhänge zwischen Dankbarkeit und einem Weniger an Sorgen, Grübeln, Depressivität und Stressempfinden nachweisen konnten“, schreibt der Heidelberger Psychotherapeut Henning Freund im „Magazin für Psychotherapie und Seelsorge“.
Die wundervollen Auswirkungen der Dankbarkeit aus Sicht der Wissenschaft
Das nach eigenen Angaben weder religiöse noch spirituelle Greater Goods Science Centre in Berkeley erforscht die Auswirkungen von Dankbarkeit und hat festgestellt:
Dankbar lebende Menschen
haben ein besseres Immunsystem
sie erleben mehr positive Gefühle,
sie sind somit fröhlicher, glücklicher und optimistischer
das macht sie großzügiger und einfühlsamer
und so fühlen sie sich schließlich auch weniger einsam und isoliert.
Mittlerweile erforscht auch die Schulmedizin das Dankbarkeitsgefühl. Paul J. Mills, spezialisiert auf Psychoneuroimmunologie und Psychosomatik, entdeckte, dass Dankbarkeit die Herzgesundheit von Herzpatienten unterstützt.
Das Herz vermag sich durch Dankbarkeitsübungen offenbar besser selbst zu regulieren und seinen Rhythmus zu beruhigen.
Negative Gedanken und Ängste meiner Kindheit
Viele Jahre hatte ich mit negativen Gedanken über mich und das Leben zu kämpfen. Und mein Gehirn war extrem gut ausgebildet im katastrophischen Denken.
Heute weiß ich, dass die Wurzeln dieser negativen und ängstlichen Gedanken in meiner Kindheit liegen. Durch die Glaubenssätze meiner Eltern und ihre eigenen Ängste und Prägungen habe ich sie unbewusst übernommen.
Wie Kletten mit ihren kleinen Widerhaken hingen sie an mir fest und versetzten mir immer wieder kleine, fast unmerkliche Stiche.
Sie sorgten dafür, dass ich mich viele Jahre klein, unvollkommen und fehlerhaft fühlte. Immer wieder Angst, hatte zu versagen, nicht gut genug zu sein und selbst mein schlimmster Kritiker war.
Nach einer Trennung brachen meine negativen Gedanken und meine Ängste über mir zusammen, wie eine große Flutwelle. Die in einer Depression mündete. In vielen kleinen Schritten fand ich den Weg aus dieser inneren Dunkelheit heraus.
Einer dieser Schritte war die warme und liebevolle Kraft der Dankbarkeit. Und sie kam in einer Zeit meines Lebens zu mir, als ich mal wieder auf der Suche nach einem Stück Heimat in dieser Welt war.
Die neue Heimat und der Lottogewinn
Vor ein paar Jahren bekamen mein Mann und ich so etwas wie einen Lottogewinn. Wir waren schon länger auf der Suche nach einer größeren Wohnung. Was in Ravensburg, so wie in vielen Städten, eine schwierige und fast aussichtslose Angelegenheit ist.
Wir schauten regelmäßig in die Zeitung, erzählten unseren Freunden davon und sahen uns viele Wohnungen und Häuser an. Aber es zog sich und eine neue Bleibe war nicht in Sicht.
Eines Samstags morgens las ich gespannt die Wohnungsanzeigen und sah ein Inserat für eine Doppelhaushälfte. Es war noch früh und die Vermieterin hatte eine Telefonnummer angegeben. Ich fasste mir ein Herz und rief sie an.
Wir waren die ersten Interessenten, durften das Haus noch am gleichen Tag anschauen und nach kurzer Zeit war klar, dass die Vermieterin uns sehr sympathisch fand, Wir bekamen den Zuschlag für das Haus, unterschrieben den Mietvertrag bei einer gemeinsamen Flasche Sekt und waren überglücklich.
Eine sehr liebe Nachbarin kam bei unserem Einzug gleich mit einem Strauß Tulpen vorbei und begrüßte uns herzlich. Wir schlossen sie sofort in unser Herz und schon nach kurzer Zeit war sie so etwas wie ein neues Familienmitglied, unsere Frau Müller.
Es war alles perfekt und ich fühlte mich nach 16 Umzügen in meinem Leben endlich angekommen. Meine Schwester schenkte mir den passenden Schlüsselanhänger aus warmem grauen Filz, auf dem „Heimat“ stand.
Die Herausforderung zum Wachstum und der Schmerz der Kindheit
Zweieinhalb Jahre später ging ich mit der Kaffeetasse in der Hand an den Briefkasten. Dort lag ein Schreiben unserer Vermieterin. Die uns schweren Herzens schrieb, dass sie Eigenbedarf hätte und uns kündigen müsste.
Es war wie eine eiskalte Dusche, die aus dem Nichts kam. Ich brach in Tränen aus und konnte einfach nicht glauben, dass ich diese Heimat wieder verlieren sollte.
Schon wieder umziehen und eine neue Bleibe finden musste. Jetzt auch noch unter Zeitdruck.
Die Monate danach waren schwer für mich. Ich hatte als Kind nie eine richtige Heimat, wir zogen oft um und weil wenig Geld da war, gestaltete es sich jedes Mal schwierig, ein neues Zuhause zu finden.
Als meine Eltern geschieden wurden, musste meine Mutter mit uns eine neue Wohnung finden. Eine junge alleinerziehende Mutter mit drei lebhaften Kindern war in den 70er Jahren bei den Vermietern nicht gerade gern gesehen.
Nach langem Suchen fand sich dann wieder etwas. Aber auch diese Wohnung (in der wir uns sehr wohl fühlten) verloren wir aufgrund einer Eigenbedarfskündigung und mussten ohne Auto von der Stadt aufs Land ziehen.
Und zogen nach zwei Jahren wieder zurück in die Stadt. In eine Wohnung mit Kohleofen und von Grund auf renovierungsbedürftig.
All diese Erinnerungen, die Angst, die Überforderung von damals meldeten sich und machten mir das Leben schwer. Mein inneres Kind war in heller Aufruhr und ließ sich nur schwer trösten und beruhigen.
Mein Gehirn nutze seine ganze Kraft des Katastrophisierens und malte mir die Zukunft in düsteren Farben aus. Es war eine große Herausforderung für mein persönliches Wachstum.
Dankbarkeit und meine inneren Einwände
Da kam die Dankbarkeit zu mir und gab mir neue Kraft. Ich hatte in unserem Häuschen unter dem Dach mein eigenes Arbeitszimmer. Morgens war ich dort oben, machte Yoga und meditierte.
Auf meiner warmen Yogamatte schaute ich aus dem Dachfenster in die Wolken, atmete bewusst ein und aus und versuchte mich auf Dinge zu konzentrieren, für dich ich dankbar war.
Am Anfang gab es viele innere Einwände, Schmerz und Traurigkeit wurden immer wieder lauter, die Angst, dass wir keine Bleibe finden würden kam wie eine Welle.
Aber ich machte weiter. Und es wurde ruhig in mir. Mein Körper entspannte sich. Meine Gedanken kamen zur Ruhe. Mein Herz wurde weit und warm. Und meine Zuversicht und mein Vertrauen wuchs.
Jeden Morgen richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Fülle in meinem Leben: Meinen gesunden Körper, die warme Dusche, den Vogel, der vor meinem Fenster zwitscherte, die mitfühlenden Freunde an unserer Seite,
Die neuen Klienten, die den Weg zu mir fanden, den schönen Spieleabend mit meiner Familie, meine lieben Kolleginnen, die Anteil nahmen… Die Liste wurde länger und es fiel mir immer mehr Neues ein.
Wie die Dankbarkeit Sonnenstrahlen in den Nebel meiner Gedanken schickte
In dieser für mich sehr schwierigen Zeit konnte ich sehr deutlich spüren, wie die Dankbarkeit meine Gedanken in eine positive Richtung lenkte, meinen Blick, der durch die Angst eng geworden war, wieder weitete.
Und wie ich in mir eine innere Kraft spüren konnte, die vorher unter dem Nebel der negativen Gedanken verdeckt war.
Der Nebel der Sorgen und der Angst löste sich auf und ich konnte wieder ein Stück meines Weges vor mir sehen.
Durch die Unterstützung von Freunden fanden wir dann ein neues Haus. Noch schöner und wesentlich größer als das alte. Sogar mit einem kleinen Pool für heiße Sommertage und einem alten, grünen Kachelofen, der es uns im Winter mollig warm macht.
Dankbarkeit verwandelt unser Leben in Fülle
Voller Dankbarkeit sitze ich jetzt in meinem Arbeitszimmer, schaue in die Bäume vor meinem Fenster und kann mit Mitgefühl auf diese schwierige Zeit zurückschauen. Und mit Vertrauen in meine Zukunft.
Weil die Dankbarkeit mir immer wieder die Fülle und das Gute in meinem Leben zeigt. Auch wenn wieder Wolken heranziehen und neue Herausforderungen auf mich warten.
Der Dankbarkeit Raum in meinem Leben zu geben, ist für mich zu einem festen Bestandteil geworden. Morgens unter der Dusche, beim Joggen, auf der Autofahrt zur Arbeit, abends wenn ich im Bett liege und an den Tag zurückdenke.
Dann lade ich sie wieder ein. Und mit ihr das warme und stärkende Gefühl, dass mich zuversichtlich macht. Dich wie eine warme Decke einhüllt.
Jeden Tag denke ich an zehn Dinge, für die ich dankbar bin. Und spüre, wie mein Körper und mein Geist in einen entspannten und positiven Zustand kommen.
Dankbarkeit ist eine sanfte aber unglaublich
kraftvolle Energie. Sie kann dein Leben in
Fülle verwandeln, wenn du dich immer wieder
mit der Dankbarkeit verbindest.
Dann wirkt sie wie ein Dünger, der all die wunderbaren
Samen, die schon in dir angelegt
sind, zum Wachsen und Erblühen bringt.
Wofür bist du heute dankbar? Und wo darf
die Dankbarkeit zum Dünger in deinem Leben
werden und der Fülle mehr Raum geben?
Text aus meinem Buch „Gute Gedanken für den Tag – Innehalten“.
Textimpulse für jeden Tag von Januar bis März.
Schreibimpuls – „Die wunderbaren Vier“
Ein Schreibimpuls aus der Positiven Psychologie sind diese vier Fragen, die du 1-2 mal pro Woche schriftlich beantworten kannst. Und mit der du deinen Blick immer wieder auf die schönen und positiven Dinge in deinem Leben richten kannst.
Am besten nimmst du nur für diese vier Fragen ein Helft, in dem du deine Antworten sammelst. Dann kannst du sie immer wieder nachlesen. Und dich von Dankbarkeit durchfließen lassen. Schreibe zu jeder Frage drei Antworten auf. Schaue dafür auf die Woche zurück, die hinter dir liegt.
#1 Wofür bin ich dankbar?
#2 Worauf bin ich stolz?
#3 Was mag ich an mir?
#4 Worauf freue ich mich?
Ich wünsche dir, dass die Dankbarkeit und ihre sanfte und liebevolle Kraft dich auch in deinem Alltag begleiten darf. Dich durch Krisen hindurchträgt und dir die Türen zur Fülle in deinem Leben öffnet.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde erstmals im Januar 2020 veröffentlicht und zuletzt im Oktober 2023 aktualisiert und ergänzt.
Herzliche Grüße
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