Es gibt Situationen, in denen uns das Gefühl der Ohnmacht überfällt und wir uns wie gelähmt fühlen. In diesen Situationen haben wir keinen Zugang mehr zu unserer Selbstregulation. Wir können uns, so wie das Wort es schon sagt, nicht mehr selbst regulieren und unsere Gefühle und unser Verhalten geraten außer Kontrolle.
Der Durchbruch
Und da wusste ich: Ich habe es geschafft! Die unverschämte Bemerkung unseres Geschäftsführers ließ ich nicht auf mir sitzen.
Als er zu mir sagte: „Ihnen merkt man doch gleich an, wie unmotiviert sie sind“ brodelte es in mir und ich sagte (sehr laut): „Das verbitte ich mir. Fragen sie doch meine Patienten und sie werden mit Sicherheit hören, dass alle mehr als zufrieden mit meiner Begleitung sind“. Er wurde ganz blass und meine Kollegen sahen mir zustimmend und aufmunternd zu.
Fehlende Selbstregulation
Viele Jahre haben laute und cholerische Chefs mich eingeschüchtert. Immer wieder gab es Situationen, in denen Vorgesetzte mit unverschämten Aussagen um sich warfen – und ich war wie erstarrt und konnte nichts dazu sagen.
Hinterher ärgerte ich mich über mich selbst und nahm mir vor: Beim nächsten Mal wehrst du dich. Aber es war ein längerer Weg dorthin. In meiner Ausbildung als Therapeutin wurde mir klar, warum es für mich so schwer war. Mir fehlte die Selbstregulation.
Wenn mein Vater laut wurde war es besser, einfach still zu sein. Sonst wäre es noch schlimmer geworden. Mein Nervensystem lernte, dass es besser ist, zu erstarren und sich tot zu stellen.
Durch viel Reflektion, Wahrnehmungs- und Körperübungen lerne ich, mich selbst zu regulieren. Und in meinem Erwachsenen-Ich zu bleiben – auch wenn jemand laut wird.
Warum Selbstregulation so wichtig ist
Selbstregulation ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die wir brauchen, um in herausfordernden Situationen selbstbewusst und souverän reagieren zu können.
Viele meiner Klienten erleben in ihrem Job oder auch in ihren Beziehungen Situationen, in denen sie von Gefühlen überflutet werden, in denen sie sich nicht handlungsfähig und ohnmächtig fühlen. Hier sind ein paar Beispiele:
- Ungerechte Kritik durch den Chef, gegen die man sich nicht wehren kann.
- Eine Präsentation, bei der man auf einmal ein Blackout hat, wenn alle Augen auf einen gerichtet sind.
- Der Partner macht ständig abwertende Kommentare. Man fühlt sich gelähmt, kann nichts erwidern und ist später wütend auf sich selbst.
- Eine Freundin fordert ständig Unterstützung und man ist nicht in der Lage auch mal Nein zu sagen, obwohl man selbst gerade kaum noch Kraft hat.
- In Konflikten wird man schnell wütend und und laut und ist hinterher entsetzt über das eigene Verhalten.
Welche Situationen kennst du, in denen du dich ohnmächtig, hilflos oder ausgeliefert fühlst? In denen du deine Gefühle und den Verhalten nicht mehr unter Kontrolle hast?
Die Ursache für das Gefühl der Ohnmacht
Das, was man in solchen Situationen erlebt, ist eine fehlende Selbstregulation. Die sehr häufig durch belastende Erlebnisse in der Kindheit entstanden ist.
Bei vielen Menschen ist das eine Bindungsstörung, wenn die Eltern nicht so fürsorglich und zugewandt waren, wie es das Kind gebraucht hätte. Bei anderen kann es sogar ein Trauma durch körperliche oder emotionale Gewalt sein.
Erkenntnis als erster Schritt zur Veränderung
In meiner Zeit als Therapeutin in einer Klinik habe ich durch die Arbeit mit Traumapatienten viel über das Gefühl der Ohnmacht und Selbstregulation gelernt.
Und erlebt, wie entlastend es ist, wenn Menschen erfahren, warum ihr Körper und ihre Seele immer wieder so heftig reagieren. Wenn sie verstehen, dass sie lernen können, sich selbst zu regulieren. Und endlich selbstbewusst auf Grenzüberschreitungen und Ungerechtigkeiten reagieren und sich abgrenzen können.
Sie finden Wege, wie sie diesen Kreislauf der Ohnmacht unterbrechen können. Wie sie sich selbst wieder vertrauen und ihr Leben auch in schwierigen Situationen in die Hand nehmen können.
Braucht jede traumatische Erfahrung eine Therapie?
Die gute Nachricht: Nicht jede traumatische Erfahrung braucht lange therapeutische Begleitung. Oft hilft das Wissen über die Funktionsweise unseres Körpers und einige gezielte Übungen, die man regelmäßig macht.
Viele meiner Coaching Klienten, die belastende berufliche oder private Situationen erleben, können sie Schritt für Schritt mit einfachen Übungen und der Glückskindstrategie verändern. In diesem Blogbeitrag „So stärkst du dein Selbstvertrauen mit der Glückskindstrategie“ kannst du mehr dazu lesen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Elke überwindet ihre Ohnmacht
Letzte Woche erzählte mir meine Klientin Elke, dass sie an ihrer neuen Arbeitsstelle viel souveräner mit Konflikten umgehen kann als früher.
Eine Kollegin weigerte sich, ihr einen Arbeitsbereich zu übergeben, den der Chef Elke im Einstellungsgespräch versprochen hatte. Und auf den sie sich schon sehr freute. Die Kollegin meinte, sie würde den Bereich schon sehr lange betreuen und würde nicht einsehen, warum sie ihn jetzt abgeben soll.
Früher wäre Elke verstummt und hätte um des lieben Friedens Willen nichts gesagt. Wer will sich schon gleich am Anfang mit der neuen Kollegin anlegen?
Sie merkte aber schnell, dass sie in ihre alte Ohnmacht verfiel und machte sich klar, dass sie das so nicht mehr wollte.
Als sie am nächsten Tag der Kollegin begegnete, sagte sie ihr klar und deutlich, dass ihr der Aufgabenbereich zugesagt worden wäre und sie ihn auch haben möchte. Und wenn die Kollegin damit ein Problem hätte, soll sie das mit dem Chef klären. (Sie hatte ein bisschen zittrige Knie dabei – aber sie zog es durch)
Sie war erstaunt, wie leicht ihr das fiel. Die Kollegin lenkte dann ein und sie vereinbarten einen Termin für die Übergabe.
Elke war sehr stolz auf sich. Im letzten Job hatte sie die spannenden Projekte immer wieder anderen Kollegen überlassen, die sie für sich eingefordert hatten. Und war so immer unzufriedener und unglücklicher geworden.
Sie spürte, dass sie jetzt bereit war, anderen auf Augenhöhe zu begegnen und sich nicht mehr klein zu machen. Obwohl sie vor dem Gespräch mit der Kollegin Angst hatte, konnte sie souverän für sich einstehen. Weil sie die Kunst der Selbstregulation gelernt hatte.
Was ist Selbstregulation und wie entwickelt man sie?
Selbstregulation bedeutet, dass wir uns auf der emotionalen, körperlichen und auch gedanklichen Ebene selbst-bewusst steuern können.
Idealerweise lernen Kinder das in der Beziehung zu ihren Eltern, durch eine liebevolle und wertschätzende Begleitung.
Am Anfang ihres Lebens lernen sie das vor allen Dingen zuerst über die sogenannte Co-Regulation im Kontakt mit den Eltern.
Verena König sagt dazu in ihrem Podcast „Wie Selbstregulation gelingt“: Wenn jemand ein kleines Kind co-reguliert, dann beruhigt er oder sie das Nervensystem dieses Kindes.
Das bedeutet, durch die Zuwendung, durch die Hinwendung, durch die körperliche Nähe, durch den Trost, durch das Gehaltenwerden und all diese schönen Aspekte der Co-Regulation entspannt sich das Nervensystem des Kindes, das – durch was auch immer – aus der Balance geraten ist.
Diese Erfahrungen der Co-Regulation ermöglichen Kindern im Laufe der Entwicklung die Fähigkeit der Selbstregulation zu entwickeln. Sie lernen es durch ihre Bezugspersonen und deren Verhalten und die Zuwendung, die sie von ihnen bekommen,
Menschen, die diese Erfahrung als Kind nicht gemacht haben, müssen sie erst noch entwickeln. Aber zum Glück ist unser Nervensystem sehr lernfähig.
Fünf Schritte, um Selbstregulation zu entwickeln
Hier sind fünf zentrale Schritte, mit denen die Selbstregulation gestärkt werden kann, wenn sie durch belastende oder traumatische Erfahrungen verloren gegangen ist. Ich orientiere mich dabei an den Ansätzen von Verena König und Dami Charf:
#1 Den Körper wieder spüren – aus der Erstarrung kommen
Praxis: Viele Menschen mit Trauma haben das Gefühl, von ihrem Körper „abgetrennt“ zu sein. Der erste Schritt ist, ihn wieder bewusst wahrzunehmen.
Übung: Setze dich hin und lege beide Füße flach auf den Boden. Spüre, wie deine Füße den Boden berühren. Drücke sie leicht hinein und spüre den Widerstand.
Warum? Diese Übung hilft, sich im Hier und Jetzt zu verankern und aus der inneren Starre herauszukommen.
#2 Verbindung zu anderen Menschen aufbauen – sichere Beziehungen finden
Praxis: Trauma trennt uns oft von anderen Menschen. Doch echte, sichere Verbindung ist ein Schlüssel zur Heilung.
Übung: Suche bewusst den Kontakt zu Menschen, bei denen du dich wohlfühlst. Ein einfacher Start: Halte im Gespräch Augenkontakt, atme bewusst und spüre, wie es sich anfühlt, gesehen zu werden.
Warum? Wenn unser Nervensystem spürt, dass wir nicht allein sind, kann es sich beruhigen. Verbindung ist einer der wichtigsten Heilungswege aus Trauma und die Basis für Selbstregulation.
#3 Eigene Ressourcen entdecken – auf innere Stärken zugreifen
Praxis: Viele Menschen mit traumatischen Erfahrungen haben das Gefühl, schwach oder ausgeliefert zu sein. Doch jeder Mensch hat Ressourcen, die ihm helfen können.
Übung: Schreibe eine Liste mit Dingen, die dir in schwierigen Zeiten geholfen haben (z. B. Musik, Natur, Bewegung, ein bestimmter Mensch, kreatives Tun). Ergänze: „Was gibt mir Kraft?“ und „Was hat mir früher schon geholfen?“
Warum? Wenn wir uns bewusst machen, dass wir schon viel gemeistert haben, entsteht ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Sicherheit.
#4 Beobachtendes Gewahrsein – sich selbst von außen betrachten
Praxis: Oft sind wir so in Emotionen verstrickt, dass wir uns völlig von ihnen mitreißen lassen. Beobachtendes Gewahrsein hilft, eine innere Distanz zu schaffen.
Übung: Wenn du dich in einer stressigen Situation befindest, stelle dir vor, du bist ein neutraler Beobachter. Frage dich: „Was passiert gerade in mir? Welche Gedanken und Gefühle nehme ich wahr?“
Warum? Dieses bewusste Wahrnehmen hilft, sich nicht mit den Emotionen zu identifizieren. Es schafft Klarheit und gibt dir die Wahl, anders zu reagieren.
#5 Wissen erwerben – Trauma verstehen und sich selbst besser begreifen
Praxis: Viele Menschen fühlen sich ihren Reaktionen hilflos ausgeliefert, weil sie nicht wissen, dass Trauma biologisch und neurologisch erklärbar ist.
Übung: Lies oder höre Bücher, Podcasts oder Vorträge zu Themen wie Trauma, Nervensystem und Selbstregulation (z. B. von Verena König, Dami Charf oder Peter Levine).
Warum? Wissen gibt Sicherheit. Wenn du verstehst, warum dein Körper und dein Geist so reagieren, kannst du mit mehr Mitgefühl und Geduld mit dir umgehen.
Mit diesen fünf Schritten kannst du deine Selbstregulation stärken und in schwierigen Situationen immer selbstbewusster reagieren.
Im Podcast von Verena König findest du sehr viele Folgen, in denen sie über das Thema Selbstregulation spricht und auch Übungen dazu teilt.
Wenn du dir Unterstützung auf dem Weg zu mehr innerer Stärke und einem gesunden Selbstbewusstsein wünschst, dann buche gerne ein kostenloses Informationsgespräch mit mir. Hier gleich Termin buchen.
Probiere die fünf Schritte mal für dich aus und schreibe mir gerne in den Kommentar, welcher für dich hilfreich war.
Herzliche Grüße
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